Den internen Kunden gibt es in Wirklichkeit nicht

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Sehr viele funktional organisierte Unternehmen wünschen sich von ihren direkt und indirekt wertschöpfenden Abteilungen eine Art Kunden-Dienstleister-Beziehung. Insbesondere die indirekt wertschöpfenden Bereiche wie Personal – aber auch noch immer die IT – werden dann als interne Dienstleister angesehen. Sehr gern wird dann vom internen Kunden gesprochen und was man für den alles tun möchte. Das Problem daran ist, dass dieser interne Kunde gar kein echter Kunde im Sinne einer Profit- oder Non-Profit-Beziehung ist, sondern eine Kollegin oder ein Kollege. Nicht nur allein das führt dieses Konstrukt aus meiner Sicht ad absurdum. Also lassen Sie uns im Folgenden einmal genau auf das Prinzip des internen Kunden schauen und die Wirkung und Lösungsoptionen betrachten. Das ein oder andere Augenzwinkern konnte ich nicht unterdrücken.

Das Konzept des internen Kunden oder der internen Kunden-Lieferanten-Beziehung

Mit dem Aufkommen der Lean-Bewegung in Japan Mitte der 90 Jahre hat sich die Idee der internen Kunden-Lieferanten-Beziehung entwickelt. Das Konzept geht davon aus, dass jeder interne Prozess eines Unternehmens die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen und Mitarbeitenden erfordert. Der interne Kunde ist dann der Empfänger einer Leistung oder eines Produktes innerhalb eines Unternehmens. Er ist also in die Prozessschritte des Unternehmens eingebunden. Mit Hilfe einer solchen internen Kundenbeziehung soll:

  • ein besseres gegenseitiges Verständnis von Anforderungen und Erwartungen,
  • eine verbesserte Kommunikation und ein optimierter interner Informationsfluss sowie
  • eine Abgrenzung und Klärung von Schnittstellen und Verantwortungsbereichen

erreicht werden. Einhergehend mit einer internen Kundenbeziehung ist auch die Hoffnung auf eine positive Wirkung hinsichtlich der externen Kundenbeziehung verbunden. Im Wesentlichen stehen dabei zwei Versprechen oder Hoffnungen im Mittelpunkt:

  • die Optimierung der internen Prozesse zugunsten der externen Kunden und
  • die Entwicklung einer echten, kundenorientierten Unternehmenskultur.

Wie typischerweise das interne Kundenkonzept umgesetzt wird

Ein vielversprechender Ansatz in diesem Bereich scheint es zu sein, das Thema Kundenzufriedenheit zunächst in die Mission-Statements der jeweiligen Bereiche oder Abteilungen aufzunehmen. Mit diesen, meist ungelenken und gequollen daherkommenden Sätzen, die vor Superlativen nur so strotzen, können sich in der Regel die wenigsten Mitarbeitenden identifizieren. Im Management scheint man aber noch immer zu glauben, dass diese Sätze für die Mitarbeitenden als Orientierung wichtig sind und zu Höchstleistungen motivieren. Daher muss jetzt auch noch die interne Kundenzufriedenheit mit berücksichtigt werden. Dann ist man eben jetzt nicht nur der oder die Beste hier oder dort, sondern richtet sein Handeln auch noch an der Zufriedenheit des internen Kunden aus. Und wenn der Chef mit gutem Beispiel vorangeht, steht dem plötzlich echten Servicegedanken der Mitarbeitenden fast nichts mehr im Wege.

Schritt zwei ist das Einrichten von entsprechenden Metriken, um die interne Kundenzufriedenheit messen zu können. Dies geht meist mit gähnend langen Workshops einher, in denen die Beziehung zu den anderen Bereichen und Abteilungen noch einmal genauestens definiert wird. Wer ist eigentlich der Kunde, was ist unser Dienstleistungsportfolio und wie wollen wir das messen. Im Grunde ist dies eine gute Idee und IT-Bereiche haben hier bereits einen kleinen Vorteil, denn SLAs für bestimmte Services sind hier meist keine Unbekannten. Bereits hier merken wir, dass Kundenzufriedenheit gar nicht so einfach neutral und objektiv „zu messen“ ist. Ist der Kunde wirklich zufrieden, wenn die Reklamationsquote null ist, oder reklamiert er aus völlig anderen Gründen intern gar nicht? Damit kann man sich vortrefflich monatelang beschäftigen und von der eigentlichen Wertschöpfung ablenken. Aber das Wichtigste in Schritt zwei ist, dass dies die Wegbereitung für Schritt drei bedeutet.

Betreiben Sie eine Controlling-Abteilung, dann können Sie zwischen Schritt zwei und drei noch einen kleinen Zwischenstep einziehen: die innerbetriebliche Leistungsverrechnung (hier im Gabler Lexikon). In meiner bisherigen unternehmerischen und betrieblichen Praxis waren es insbesondere die Controlling-Abteilungen, die mit einem internen Kosten-Controlling zu einer enorm hohen Mitarbeitermotivation beigetragen haben ;). Damit möchte ich die Leistung der Controller nicht schmälern – ganz im Gegenteil! Allerdings ist für mich eine solche unternehmerische Maßnahme eher ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem in der Organisation. 

Denn falls es überraschenderweise mit dem internen Servicegedanken nebst Kosten-Controlling doch nicht so richtig gut funktioniert, greift man gern zur beliebtesten Management-„Waffe“: Man koppelt die interne Kundenzufriedenheit an das Gehalt der Mitarbeitenden. Die wohlwollendste aller Begründungen für diesen Schritt könnte sein, dass damit der ökonomische Impact einer externen Kundenbeziehung nachgebildet werden soll. Und natürlich spornt erst die monetäre Keule den Mitarbeitenden so richtig an, den Servicegedanken jetzt endlich zu leben und die interne Kundenzufriedenheit zum Maß aller Dinge zu erheben. Hier angekommen wissen Sie genau, irgendetwas stimmt in diesem Unternehmen grundsätzlich nicht. 

Denn Kundenorientierung, Dienstleistungswille und konsequenter Servicegedanke sind vor allen Dingen eine Haltung. Also ein intrinsischer Motivator. Alle extrinsischen Maßnahmen führen hier nur zu Demotivation und am Ende zu Frust.

Warum eine solche Beziehung in Wirklichkeit nicht existiert

Keine echte Marktbeziehung

In der sogenannten freien Wirtschaft trifft, ganz einfach gesprochen, zunächst ein Waren- oder Dienstleistungsangebot auf einen oder bestenfalls mehrere Nachfrager. Wenn Sie sich ein wenig mit Volkswirtschaft beschäftigen, gibt es in dieser Beziehung der Marktteilnehmer exakt eine Ausprägung, bei der von einer bestmöglichen Marktsituation gesprochen wird: das Polypol. Viele Anbieter treffen auf viele Nachfrager. Denn nur hier sind die Anbieter durch den Wettbewerb gewissermaßen gezwungen, effizient zu handeln. Und nur hier bildet sich ein optimaler Preis, also jene gezahlte Gegenleistung, die sich aus Angebot und Nachfrage auf dem Markt ergibt. In dieser Marktsituation müssen sich die Anbieter gegenüber den anderen Marktteilnehmern differenzieren und ständig verbessern.

Und? Besteht in Ihrem Unternehmen bei den internen IT- oder HR-Services eine polypolistische Marktsituation? Ich denke eher nicht. Sie sehen sich nämlich meist einem bilateralen Monopol gegenüber. Man könnte auch davon sprechen, dass es überhaupt keinen Wettbewerb gibt. Produktionseffizienz, Minimalkostenprinzip etc. sind nicht notwendig, das Produkt oder die Leistung wird ohnehin abgenommen werden.

Keine echte Ökonomie

Bleiben wir bei unserem Vergleich in der freien Wirtschaft: Biete ich meine Leistung neben vielen weiteren Anbietern an, bin ich gezwungen, ökonomisch zu handeln. Oder vereinfacht gesagt: Kosten und Erlöse müssen sich so verhalten, dass am Ende des Monats noch etwas übrigbleibt. Bleibt dies aus, verschwinde ich unweigerlich vom Markt – mein Unternehmen muss schließen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ich mein Angebot der bestehenden Nachfrage ständig anpassen muss. Dazu muss ich die Bedürfnisse und Wünsche meines Kunden verstehen und mein Angebot entsprechend gestalten. Und ich werde auch einmal um einen Kunden kämpfen und Zugeständnisse machen, um ihn nicht zu verlieren. Nur dann kann es mir gelingen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Sie ahnen es schon, oder? Wann wurden die internen Services in Ihrem Unternehmen das letzte Mal marktbezogen angepasst? Entwickeln sich HR oder IT ständig weiter, um Sie als internen Kunden noch glücklicher zu machen und das eigene Angebot ständig zu verbessern? Über die Antwort – sollte sie negativ ausfallen – sollten Sie nicht zornig sein. Denn die genannten Abteilungen oder Bereiche müssen dies auch nicht tun. Sie bieten zwar eine Leistung im Unternehmen an, deren Wettbewerbsreife und Marktbeständigkeit ist aber für die Nachfrage völlig irrelevant. Bei einer internen Kundenbeziehung gibt es leider kein echtes wirtschaftliches Prinzip, denn das Handeln der Akteure ist für sie ökonomisch folgenlos. Während der freie Markt unfähige Akteure oder nutzenfreie Angebote schlichtweg bereinigt und beseitig, gibt es diesen Mechanismus im Unternehmen einfach nicht. Oftmals ist eher das Gegenteil der Fall.

Nahezu konsequenzfreies Handeln

Als Unternehmer oder Anbieter am freien, polypolistischen Markt spüre ich direkt und unmittelbar die Konsequenzen meines Handels. Mein Angebot findet keine Nachfrager, weil es keinen erkennbaren Nutzen erzeugt? In wenigen Wochen kann ich mein Unternehmen schließen! Das Kostenangebot habe ich zu spät an den Kunden rausgeschickt? Pech gehabt: Jemand anderes hat den Auftrag bekommen! Ich habe meinen Preis zu hoch oder zu niedrig kalkuliert? Pech gehabt: Der Auftrag geht wieder an jemand anderen oder ich mache schlichtweg Verluste! Ich stelle meinen Kunden nicht 100 % zufrieden? Pech gehabt: Das war mein letzter Auftrag bei diesem Kunden! Diese Liste kann ich noch nahezu unendlich fortsetzen. 

Wir können bei jedem der genannten Beispiele das Gedankenspiel betreiben, was es für Konsequenzen im Unternehmen hätte, wenn ich auf dem unternehmensinternen Markt oder gegenüber meinem internen Kunden genau so agiere. Verstoßen Sie unternehmensintern nicht gegen bestehende Regularien oder gegen das Arbeitsrecht, ist es – zumindest in Deutschland – nahezu ausgeschlossen, dass die volle Härte der Konsequenzen zuschlägt. Das ist auch gut so, denn das Konzept der Arbeitnehmerschaft exkludiert das unternehmerische Risiko und versieht es mit einer ökonomischen Flatrate. Beides verbinden zu wollen, ist nicht nur unfair, es führt auch zwangsläufig zu frustrierten Mitarbeitenden, die sich um die Regularien herum und in die Bonifizierungsmaßnahmen hinein optimieren. Es beginnt ein Kreislauf, der nur schwer zu stoppen ist.

Wenn die internen Kundenkonzepte nicht funktionieren, was funktioniert dann?

Aus meiner Sicht ist das Problem ursächlich in der funktionalen Arbeitsteilung zu sehen. Dies mag in einem produzierenden Betrieb notwendig sein, hier arbeiten die einzelnen Stationen des Produktes allerdings an der direkten Wertschöpfung und für den echten Kunden. Die indirekt wertschöpfenden Bereiche aber sind von dem entkoppelt. 

Einen wirklich überzeugenden Ansatz habe ich bei einem der größten Getränkehersteller der Welt kennengelernt. Dort wurden die indirekt wertschöpfenden Funktionen „embedded“, also in die wertschöpfenden Teams integriert. Das bedarf eines hohen, crossfunktionalen Ausbildungsstandes und natürlich funktioniert dies nicht für alle Bereiche des Unternehmens und alle nicht-wertschöpfenden Fragestellungen. Die IT-Unternehmensarchitektur beispielsweise umfasst übergreifende Themen, bei denen auch Leitlinien und Standards für alle erarbeitet werden müssen. Deren Operationalisierung liegt dann in den Teams selbst, und wenn hier kein Nutzen erkennbar wird, können sich die Teams andere Lösungen schaffen. 

Insbesondere die IT tut sich aktuell in ihrer Rollendefinition schwer (Mehr dazu finden Sie hier und hier). Ein Grund ist auch die zunehmende IT-Affinität der Digital Natives, die mit einer soliden Ausbildung in die Fachteams strömen. Ein weiterer Grund, auf den „Embedded Ansatz“ zu schauen und so viele Aufgaben und Kompetenzen wie möglich in die Peripherie an die wertschönenden – Achtung: Ironisch gemeint, sollte es vielleicht „wertschöpfenden“ heißen? – Einheiten zu geben.

Three Take-Aways

  1. Das Konzept des internen Kunden kommt mit der Etablierung von extrinsischen Motivatoren, die langfristig einen deutlich negativen Effekt erzeugen.
  2. Der unternehmensinterne Markt gleicht in keiner Weise dem echten, externen Markt; Grundzüge der Marktbeziehungen und -reaktionen sind ausgehobelt.
  3. Anstatt auf die Schnittstellen zu schauen, sollte so viel Verantwortung wie möglich in die wertschöpfenden Teams gelegt werden.

Weiterführende Links

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