Die alte Rolle der IT
Organisatorisch funktional aufgebaute Unternehmen ab einer bestimmten Größe unterhielten – oder tun dies noch immer – eine interne IT-Abteilung oder einen eigenen IT-Bereich. Hier sind die IT-Spezialisten versammelt; Experten, die sich meist um die Technik kümmern. Im Selbsttest können Sie im Unternehmen einmal einige Mitarbeitende befragen, wofür IT eigentlich steht. Sind Sie bei Informationstechnik oder bei Information Technology?
Die Existenzgrundlage dieser organisatorischen Einheiten basiert auf der Erkenntnis, dass Automatisierung eben auch irgendwie Computertechnik bedarf und dass es hier ab einer bestimmten Größe jemanden braucht, der schnell und flexibel handeln und das „Computerzeug“ aufbauen und betreuen kann. Das war in der Vergangenheit auch ausreichend. Innovationen kamen über den technischen Fortschritt oder neue Tools in das Unternehmen; selbst innovativ sein muss man nicht und es wurde auch gar nicht verlangt. Die Techies und Nerds eben …
Organisatorische Verortung
Die Rolle der internen IT im Unternehmen zeigt sich dann auch in deren organisatorischer Einordnung. In vielen kleinen und mittleren Betrieben wurde und wird die IT von den kaufmännischen Leitern oder jemanden in der Verwaltung „einfach mal mitgemacht“. Nicht selten habe ich erlebt, dass vor allen Dingen Führungskräfte in einer Doppelfunktion waren: Sie haben einen Fachbereich (vorgeblich in der Verwaltung) geführt und gleichzeitig das IT-Team oder den Bereich. Diese Rolle wird gerne vom CFO übernommen. In seiner wohl extremsten Ausprägung habe ich die Unternehmens-IT eines 700 Mitarbeitenden starken KMUs erlebt, die organisatorisch beim Facilitymanagement verortet war. Hier war die IT auf einem Dienstleisterniveau gemeinsam mit der Bereitstellung von Strom, Wasser und der Müllentsorgung. Die IT liefert eben Infrastruktur und ein bisschen Software. Den Rest machen die Fachabteilungen bitte schön selbst oder es ist outgesourced.
Wir haben uns dort eingerichtet
In der oben beschriebenen Rolle fühlt sich die interne IT mittlerweile auch wohl – oder sie muss sich dort wohlfühlen und hat sich entsprechend dort eingerichtet. Kommt es zu IT-gestützten Innovationsimpulsen – bestenfalls aus den Fachbereichen – geht die IT nahezu reflexartig in eine zunächst passive Haltung: eigene, interne Richtlinien, Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen, Restriktionen bereits im Haus befindlicher Hersteller, Restriktionen der Servicepartner und die Anforderungen an einen stabilen und technisch exzellenten Betrieb. Die eigene Regulatorik hat uns so fest im Griff, dass wir selbst nicht mehr aus diesem Gedankengefängnis herauskommen. Jede beliebige Idee oder jeder Impuls aus den Fachbereichen oder aus der Unternehmensperipherie wird zunächst kritisch beleuchtet und nach Gründen durchsucht, warum diese Sache nicht funktionieren kann. Von außen betrachtet läuft das getreu dem Motto:
„Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.“
Ich möchte nicht verhehlen, dass dies auch teilweise an den Fachbereichen selbst liegt. Anstatt über konkrete, zu erreichende Ziele zu reden, kommen sie hier mittlerweile auch schon mit der Lösung um die Ecke. Die Digital Natives sind auch in den Fachbereichen angekommen. Der wesentliche Punkt aber ist, dass man dieses notwendige Gespräch der IT gar nicht zutraut.
Kein gut ausgebildeter IT-Fachmann möchte in die verstaubte IT-Abteilung eines Industrieunternehmens
Die erste Generation von IT-Fachleuten, jene also, die die dritte industrielle Revolution in die Unternehmen gebracht haben, stehen heute zudem kurz vor dem Ruhestand. Es ist dieser Generation nicht zu verdenken, nicht mehr auf jeden technischen Zug aufspringen zu wollen. Wenn man es bis dahin gebracht hat, lebt man sehr viel von seinen Erfahrungen. Mit ein wenig Glück existiert auch noch die Host-basierte Anwendung, um die sich die hochspezialisierten Kollegen noch immer kümmern.
Für die interne IT wirft das eine enorme Problematik auf: Gute Innovatoren, Menschen mit frischen Ideen, voller Tatendrang und intellektuellem Zugang zu neuen Technologien, werden diese Abteilungen scheuen. Dies sehen wir heute sehr deutlich, da viele exzellent ausgebildete IT-Spezialisten eher den Drang hin zu einem innovativen Start-up verspüren, als sich in die verstaubte IT-Abteilung eines Industrieunternehmens zu setzen. Diese Aussage ist nicht absolut, zeigt aber einen seit Jahren anhaltenden Trend. Das dringend benötigte Innovationspotenzial aus der IT heraus wird hier aufgrund interner Strukturen liegen gelassen.
In die Fachabteilungen strömen derweil die Digital Natives: bestens ausgebildete Ingenieure und Verwaltungsfachkräfte mit einer hohen Affinität zu IT-basierten Lösungen, teilweise mit Programmierkenntnissen. Die Folge ist, dass zwar Hochtechnologieprodukte entwickelt werden, die gesamte Organisation dies aber gar nicht widerspiegelt. Das Produkt kann dann ein Formel-Eins-Auto sein, dieses steht aber einem organisatorischen Traktor gegenüber.
Der interne Druck auf die unternehmenseigene IT wächst damit noch einmal mehr. Jenes Szenario, was aus IT-Sicht despektierlich Schatten-IT genannt wird, ist letztendlich Ausdruck der eigenen Unfähigkeit, dem hauseigenen Innovationsdrang ziel- und lösungsorientierte Angebote zu machen. Denkt man dies zu Ende, schafft sich die interne IT damit weitgehend selbst ab. Das ist dann aus unternehmerischer Sicht ein durchaus sinnvolles Szenario. Die interne IT muss sich überlegen, ob sie diese Rolle einnehmen möchte oder nicht.
Potenziale der Digitalisierung bleiben intern auf der Strecke
Die Folge ist, dass die internen Prozesse in diesen Unternehmen von den enormen Effizienzpotenzialen der Digitalisierung abgeschnitten werden und zurückbleiben. Wenn der eine nicht darf und der andere nicht kann, wie sollen dann die notwendigen Impulse durch neue Technologien in das Unternehmen gelangen?
Stellen Sie sich vor, Amazon würde Kaufabwicklung, Beschwerde- und Rechnungsmanagement intern noch immer auf den guten alten Technologien basieren lassen. Manche Produkte wie z. B. die Lieferung innerhalb von Stunden wären schlicht gar nicht möglich. Der Druck auf die internen Abteilungen wäre enorm, weil das eigentliche Kerngeschäft die Performance der internen Prozesse überrollen würde. Sichtbar würde das durch abnehmende Kundenzufriedenheit; im harten Plattformwettbewerb der heutigen Tage der Anfang vom Ende.
Der Ausweg führt nur über inneren Wandel, bedingungslose Kundenorientierung und konsequente Innovationen hin zu einem anderen Selbstverständnis
Die meisten IT-Leiter oder IT-Verantwortlichen stehen nun vor derselben Herausforderung: Klar ist, dass sich an der Situation etwas ändern muss. Schwierig ist, wie das Ganze anzupacken ist. Schließlich kann man die Menschen nicht einfach so austauschen. Und die Mitarbeitenden sind nun mal der wesentlichste Teil der Bereichs-DNA. Was also tun?
Verordnen Sie Ihrer IT-Abteilung zunächst eine „Geht nicht – gibt’s nicht“-Kur. Wie im obigen Zitat bereits ausgeführt, finden Ihre Mitarbeitenden ab sofort nur noch Wege und keine Gründe mehr. Mag eine Idee, Anforderung oder Wunsch auch noch so absurd klingen, finden sie ab sofort gemeinsam Möglichkeiten, dieses im Sinne der unternehmerischen Wertschöpfung umzusetzen. Wichtig ist dabei, das Ziel des Kunden zu verstehen. WAS konkret möchte er mit seiner IT-Anforderung erreichen? Bestenfalls erarbeitet Ihre IT noch gemeinsam mit dem Kunden, mit welchen Metriken sie den dann gemeinsamen Erfolg messen wollen. Im Gegenzug versprechen sie, dass sie mit mindestens einem passenden „WIE dies umgesetzt“ oder „WIE dies gelöst werden kann“ aufwarten werden.
Im zweiten Schritt ist es wichtig, die Handlungsfelder der IT konsequent an der betrieblichen Wertschöpfung auszurichten. Am einfachsten ist dies möglich, wenn Sie mit den Führungskräften Ihrer Peer-Group ins Gespräch kommen und fragen, wo aus deren Sicht mehr oder andere IT-Unterstützung zu Prozesseffizienz oder einem völlig neuen Kundenerlebnis führen kann. Dies hilft dabei, die Wahrnehmung der IT in der Organisation zu verändern: Denn diese wartet jetzt nicht mehr auf den Demand – sie bietet aktive Hilfe und Mitarbeit an.
Der dritte Schritt kann parallel zu Schritt eins und zwei passieren: Richten Sie mindestens ein Team der IT konsequent auf Innovationen aus. Lassen Sie hier völlig neue Dinge ausprobieren. Die Mitarbeitenden in diesen Teams sollten ebenfalls in Ihrer Peer-Group aktiv werden und nach den Impulsen zur Veränderung suchen. Mit kleinen, aber wirkungsvollen Werkzeugen werden Sie eine große Wirkung erzielen. Aus der IT heraus kommen dann ab sofort Impulse für das Unternehmen, welche es organisatorisch oder am Wertschöpfungsprozess weiterbringen. Und die IT wird zunehmend als Innovationstreiber wahrgenommen werden.
Und viertens: Überlassen Sie ab sofort das Umsetzen all dieser Dinge Ihren Mitarbeitenden. Lassen Sie die operativen Dinge los und kümmern sich um Organisationsgestaltung, Führung, Strategie und Vision. Die Arbeit am eigenen Führungsverhalten und am eigenen Führungsstil ist natürlich für Sie selbst die Härteste. Verantwortung abzugeben, Arbeit zu delegieren und die Mitarbeitenden nicht zu kontrollieren, sondern zu fördern, ist auch nicht von einem Tag auf den anderen erledigt. Zumal Sie an Ihrer inneren Haltung arbeiten müssen – und die ist ca. mit dem 23. Lebensjahr ausgeprägt und fester Bestandteil Ihres Selbsts. Aber: Es lohnt sich! Ich habe schon wahrhafte Ideenstürme erlebt, wenn die Freiheit zum Denken nicht durch einen omnipräsenten Chef oder ausufernde Regulatorik erstickt wird.
Sehr schnell wird das positive Feedback aus dem Rest des Unternehmens auch bei den Kolleginnen und Kollegen ankommen. Das gibt den notwendigen Auftrieb und das Momentum für weitere Veränderungen. Und auch im Unternehmen wird sich das Ansehen des IT-Bereiches sukzessive verbessern. Die steigenden Anforderungen werden mit der Zeit auf begrenzte Ressourcen stoßen – mit einem Projektportfolio-Management sind Sie auch hier gerüstet.
Titelbildquelle: Image by Bernhard Renner from Pixabay